Die Arbeiten von Erik Schmelz untersuchen den alltäglichen (Wohn-)Raum und dessen Besonderheiten auf eine experimentelle Weise. Durch immer neue Ansätze, deren die vorangegangen Resultate immanent sind, werden innerhalb des Kontextes weitere Fragestellungen gesucht. In raumgreifenden Installationen werden mit unterschiedlichen Medien (Fotografie, Video, Objekte, etc.) die Untersuchungsergebnisse sensibel im Raum gegenübergestellt und eine bewusste Korrespondenz herbeigeführt. Konzeptuelle Arbeiten, Fundstücke, und intuitive Bilder ergänzen sich und konstruieren eine scheinbar stabile Welt mit Dingen, die sich bei genauerer Betrachtung immer wieder auflöst.
Auch in seinen kuratorischen Projekten beschäftigt sich Schmelz mit dem Thema Raum. Verlassene oder zum Abriss bestimmte Gebäude wurden mit interdisziplinären Projekten bespielt. Eine alte Gewürzmühle, ein Wohnhaus, eine Justizvollzugsanstalt wurden für eine kurze Zeit mit ortspezifischen Arbeiten auf einzigartige Weise erfahrbar gemacht.

 

Move Simply, Preis zur Förderung Bildender Künstler der Stadt Mainz
2011, Clara-Marie Wörsdörfer

Guten Abend, sehr verehrte Damen und Herren,

Mit Erik Schmelz erhält in diesem Jahr ein Künstler den Förderpreis, der sich in den vergangenen Jahren beharrlich mit Fragen der Raumkonstruktion und Raumwahrnehmung beschäftigt hat. Dabei begreift Erik Schmelz Raum stets als Funktion des Menschen und spielt diese komplexe Abhängigkeit in verschiedenen Medien und mit unterschiedlichen Schwerpunkten immer wieder neu durch. Spieltrieb, Humor und auch eine gekonnte Lässigkeit zeichnen sein künstlerisches Arbeiten aus.
Erik Schmelz, der 1976 in Mainz geboren wurde und an der Kunsthochschule Mainz bei Prof. Vladimir Spacek studierte, wurde für seine künstlerische Arbeit unter anderem mit einem Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes sowie Anfang diesen Jahres mit dem Emy-Roeder-Preis ausgezeichnet. Er hat an zahlreichen Gruppen- und Einzelausstellungen teilgenommen. Im Jahr 2007 führten ihn längere Auslandsaufenthalte nach Syrien und China.

Für die Ausstellung zum Förderpreis für Bildende Künstler hat Erik Schmelz eine neue Installation entwickelt, in die er unter anderem seine Videoarbeit „17-Piece“ von 2008 integriert hat, zu der ich zunächst einige Worte sagen möchte. Sie beschäftigt sich damit, inwiefern die Beziehung zwischen uns und dem Raum, den wir bewohnen, vor allem über die Dinge darin hergestellt wird. Der Künstler selbst räumt hier, mit konzentrierter Geste, für ihn biografisch relevante Gegenstände aus einem rot gestrichenen Zimmer. Diese Dinge hinterlassen eine Art weißen Schatten, ein deutlich konturiertes, zweidimensionales Abbild an ihrem angestammten Platz. Diese Zeichen erinnern uns nicht nur humorvoll an die Verfärbungen, die uns tatsächlich an der Wand begegnen, wenn wir zum Beispiel nach zehn Jahren einen Schrank verschieben. Sie stehen vielmehr für den „Geist“ des Objekts; das wird spätestens dann offenbar, wenn sie auch auf dem Boden sichtbar werden und dabei der perspektivischen Logik widersprechen. Erik Schmelz macht hier als konsequenter Ausräumer die Spuren sichtbar, welche die Dinge im Raum hinterlassen, weil wir sie darin in für uns bedeutungsvoller Form anordnen. Wir bestimmen den Raum, in dem wir leben, indem wir den Dingen darin eine spezifische und vor allem persönliche Bedeutung geben. Damit machen wir uns den zunächst fremden, neutralen Raum zu „eigen“, verwandeln einen rechteckigen Kubus in unser Wohnzimmer und somit in eine Erweiterung unseres Innenraums, unseres Selbst. Die Videoarbeit „17-Piece“ macht diese „Anverwandlung“ des Raums quasi im Rücklauf erfahrbar. Am Ende verschwindet nicht nur die rote Wandfarbe und somit die einzelne Spur der persönlichen Dinge, sogar der vermeintliche Parkettboden wird eingerollt. Aus dem individuell gestalteten Innenraum wird eine weiße Fläche, das Wohnzimmer entpuppt sich in der Retrospektive als „Machwerk“ und Konstruktion des Künstlers. Was zunächst nur wie ein witziger, illusionistischer Trick anmutet, der die Möglichkeiten des Mediums Film äußerst gekonnt ausnutzt, hinterlässt auch einen bitteren Nachgeschmack. In dem Moment, in dem der Künstler zum letzten Mal das Bildfeld verlässt, bleibt buchstäblich nichts zurück. Wo der Mensch verschwindet, da verschwinden auch die Dinge, da löst sich sogar der Raum auf und wird eine weiße Fläche.

Für den Kunstförderpreis 2011 hat Erik Schmelz nun also – ich habe es bereits gesagt – eine neue, großformatige Installation entwickelt, in die er einige ältere Arbeiten wie Kommentare eingefügt hat. Die Installation trägt den leichtfüßigen Titel „Move simply“. Der Entscheidung zu dieser Installation ging eine intensive Phase der Auseinandersetzung mit diesem spezifischen Raum, dem linken Rathausfoyer, voraus. Vor das Problem gestellt, dass dieser Raum in Form, Farbigkeit, Materialmix und Ausstattung so dominant ist (man beachte vor allem diese stattliche Anzahl ufoartiger Lampen!), dass er es unmöglich macht, ihn „einfach“ nur als neutralen Ausstellungsraum zu nutzen, entschied sich Erik Schmelz schließlich – auch angesichts des äußerst beschränkten Produktionsbudgets – dafür, die Wände bewusst leer zu lassen und seine Installation als fremdartige und durchaus bewusst provisorisch anmutende Insel mit zwei Trabanten mitten im Raum zu platzieren. Material und Taktgeber von „Move simply“ ist der allseits bekannte und vertraute Umzugskarton. Erik Schmelz begreift als Maßeinheit für die Strukturierung von Raum. Der Zwang zur Mobilität und damit zur Bereitschaft, den „eingewohnten“ Platz jederzeit zu verlassen, um wegen eines Jobs, einer Beziehung oder einer Option auf mehr Weltaneignung in die Fremde aufzubrechen, bedeutet auch, dass unsere Dinge „verpackbar“ sein müssen. Man begegnet Menschen, die nicht ohne Stolz davon berichten, all ihr Hab und Gut würde „in 5 Kisten“ passen. Wenn wir mit dem Karlsruher Philosophen Matthias C. Müller Räumlichkeit als das „Bei-den-Dingen-Sein“ verstehen, dann kommt das Einräumen unserer Dinge in genormte Pappkartons einem „Verpacken“ des Raums gleich. Ähnlich wie wir die enormen Datenmengen auf unseren PCs verwalten, komprimieren wir in diesem Moment den Raum – freilich nicht ohne Qualitätsverlust. Indem wir durch das Anordnen und Einräumen der Dinge einen Raum erzeugt haben, ist dieser zu unserem Innenraum geworden – Matthias C. Müller spricht sogar davon, dass wir Räume bilden und uns in ihnen aufhalten müssen, um ein Welt- und Selbstverständnis konstituieren zu können. Nicht ohne Grund bedeutet ein Umzug und damit das Auflösen eines selbst erzeugten Innenraums eine enorme psychische Belastung. Passt mein Leben in Kisten und wenn ja, in wieviele? Dass es ein bestimmtes Format gibt, in das der Raum verpackt werden muss, verspricht zunächst Halt und Ordnung. Schauen wir uns die verschiedenen Bausteine der Installation von Erik Schmelz genauer an, so finden wir den Gedanken, alle Dinge „einpassen“ zu müssen, auf radikal-ironische Weise formuliert. Da wird der Hocker einfach so zurechtgesägt, dass er in den Karton passt – ohne Rücksicht auf Verluste? Hauptsache, es passt? Andere Gegenstände scheinen gegen dieses zwanghafte System Widerstand zu entwickeln. Da durchbohrt die Teppichrolle dann einfach die Pappwand oder dem Karton scheinen Beine zu wachsen. So muss für den Versuch, Raum in Kisten zu komprimieren entweder der Verlust der Ganzheit oder die Auflösung des Systems in Kauf genommen werden. „Move simply“ macht die Momente des Scheiterns und der Anstrengung sichtbar, erzählt von den Problemen, die sich uns stellen, wenn wir den Raum, in dem wir uns eingerichtet haben, der als Innenraum fest mit unserem Selbst verbunden ist, neu strukturieren müssen. Die Installation zeigt ein provisorisches „Dazwischen“, das auf den zweiten Blick mehr Chaos denn rechtwinklige Ordnung ist. So wie bei der Videoarbeit „17-Pieces“ am Schluss das weiße Nichts steht, das Anfang wie Ende bedeuten kann, ist auch die Zukunft, in die „Move simply“ weist, offen – wer weiß schon, was dabei rauskommt, wenn man versucht, die Kisten wieder auszupacken. Schließlich ist Raum eben kein objektiver Kubus, sondern definiert sich in Abhängigkeit vom Menschen als bewegliches, sensibles Gebilde.

In Anbetracht der Tatsache, dass dieser Preis ein Förderpreis ist, erscheint es passend, dieses neue Werk von Erik Schmelz als Projekt mit offenem Ausgang zu betrachten. Es spinnt seine Gedanken zur subjektiven Raumkonstruktion weiter fort, stellt aber auch deutlicher die Frage danach, ob es ein „menschengemäßes“ Raummaß geben kann und welche Auswirkungen Formen von „Raumoptimierung“ auf unsere Gesellschaft haben können. Wenn Erik Schmelz heute für sein künstlerisches Schaffen ausgezeichnet wird, dann sollte dieser Preis also auch eine Ermutigung sein, weiterhin nach überzeugenden künstlerischen Formulierungen für diese Fragen zu suchen.

Wir können uns glücklich schätzen, dass Erik Schmelz seiner Heimatstadt nicht den Rücken gekehrt hat, sondern – ganz im Gegenteil – bewusst die Entscheidung getroffen hat, mit Projekten die Kunstszene hier vor Ort zu bereichern. Gemeinsam mit Helen Jilavu gründete er noch während des Studiums das „Moguntia Projekt“, das verlassene oder zum Abriss bestimmte Räume in Mainz mit interdisziplinären Projekten bespielt. Die alte Gewürzmühle Moguntia und die ehemalige Justizvollzugsanstalt zum Beispiel wurden so für kurze Zeit zugänglich und in der Begegnung mit sensiblen, ortspezifischen Arbeiten auf einzigartige Weise erfahrbar gemacht. Als Jilavu und Schmelz im Januar 2010 ein Förderatelier der Stadt Mainz in der Waggonfabrik Mombach zugesprochen wurde, entschlossen sich die beiden dazu, dieses besondere Projekt unter dem Namen „Kiosk Moguntia“ weiterzuführen und andere Künstler im Rahmen von Einzel- und Gruppenausstellungen einzuladen. Ihr gemeinsames Atelier nutzen Jilavu und Schmelz somit nicht nur als Künstler, sondern auch als Projektraumbetreiber, Netzwerker und Kuratoren.

 

Emy-Roeder-Preis 2011
2011, Babara Auer

Bei Erik Schmelz dreht sich alles um den Raum, ob in seinen Videos oder Installationen. Unermüdlich forscht und experimentiert der Künstler zu diesem Thema; er ist ein Spezialist und Profi im Ein- und Ausräumen, Auf- und Abräumen, Hin- und Herräumen. In seinen Videos ist er selbst immer zugleich auch der Akteur. Mit ernster Miene und hochkonzentriert räumt Erik Schmelz im Video „perfect move“ jeden einzelnen Einrichtungsgegenstand aus einem Raum. Jedes Mal, wenn er ein Möbelstück in die Hand nimmt, hinterlässt dieses – wie ein Schatten – sein Abbild als weiße Silhouette auf Wand oder Boden. Doch auch diese Spuren müssen weichen, wenn beim Abziehen der roten Wandtapete Bahn für Bahn der Raum sich zunehmend auflöst und am Schluss nur eine weiße Fläche übrig bleibt. Mit Witz, Ironie und slapstickartigem Ernst zieht uns der Künstler im wahrsten Sinn des Wortes den Boden unter den Füßen weg. Sicherheit und Halt gibt es in der Kunst von Erik Schmelz nicht. Er ist vielmehr darauf aus, den Betrachter zu verunsichern, seine festgefahrenen Prinzipien ins Wanken zu bringen. Können uns Räume und Möbelstücke, mit denen wir tagtäglich leben, tatsächlich Stabilität und Sicherheit geben? Können strenge Ordnungsprinzipien nicht auch krankhaft sein? Wie klein und eng ist unsere Welt und wie viel Freiraum finden wir noch darin?

Im Vergleich zu diesem humorvoll und erzählerisch angelegten Video wirkt die auf die Ausstellungshalle des Kunstvereins bezogene Rauminstallation „You are here“ weitaus spröder und konzeptueller. Hier gibt der Künstler die Rolle des Akteurs an den Besucher ab. Ein im Maßstab verkleinerter und schematisierter Grundriss der Ausstellungshalle ist mit weißen Tapes auf dem Boden markiert, während in grauen Tapes derselbe Grundriss, nur räumlich verschoben, sich wie ein Schattenbild vom Boden über die Wand erstreckt. Ein wiederum verkleinerter Lageplan, an die Außenwand der Ausstellungshalle montiert, verspricht wie bei Wanderkarten oder Stadtplänen mit dem dort üblichen roten Punkt „You are here“ Orientierungshilfe. Aber nicht ein, sondern gleich zwei rote Punkte markieren die unterschiedlichen Standorte. Ganz offensichtlich führt uns der Künstler an der Nase herum, denn auf die drängende Frage, wo man sich denn nun befinde, gibt der Plan auf Anhieb keine eindeutige Antwort. Beziehen sich die roten Punkte auf den realen Raum oder auf den weißen, grauen beziehungsweise den an der Wand hängenden Grundriss? Man geht hin und her, vom Plan weg und wieder auf ihn zu. So einfach es klingt, die Aufgabe bereitet Kopfzerbrechen, stellt den eigenen Verstand und die Vorstellungskraft reichlich auf die Probe, bis man zu einer Lösung gelangt. Doch damit nicht genug. An der anderen Wandseite der Ausstellungshalle hängt noch ein weißes, leicht zerknittertes und ursprünglich mehrfach gefaltetes Papier, ebenfalls mit einem roten Punkt versehen. Auf welchen Raum sich nun dieser Punkt bezieht, bleibt gänzlich offen, er hat sich aus dem ursprünglich vorgegebenen Kontext gelöst, er ist reine Fiktion, könnte überall und nirgendwo sein, vielleicht im unendlich weiten Raum des Universums, ohne Grenzen und ohne Halt. Denkraum ist Freiraum, so könnte man das Spiel, das der Künstler hier mit dem Betrachter treibt, auf eine kurze Formel bringen. Es ist das gedankliche Spiel der Möglichkeiten, der immer wieder neuen Suche nach dem eigenen Standort im Leben. In der Kunst von Erik Schmelz löst sich oft alles in eine weiße Fläche, eine weiße Wand auf: ob Anfang oder Ende, bleibt offen, hier ist alles möglich, von hier geht alles wieder von vorne los.

 

Venus und Nichts, Frankfurter Rundschau 14.12.2009
von Dorothee Baer-Bogenschütz

"Ein Mann räumt ab. Den Wandschmuck, die Stehlampe, den Lesesessel, den Kleiderständer. Dann ist der Läufer dran. Zurück bleiben Silhouetten - ganz in Weiß: als würden Abziehbilder von Klebefolie entfernt. Doch es geht noch weiter. Der Mann zieht die rote Tapete von der Wand und rollt die Dielen ein. Nun ist alles weiß. Es gibt keine Raumtiefe mehr, keine Gegenstände, kein Bildgeschehen. Nur eine weiße Fläche. Das reine Nichts?
Erik Schmelz selbst ist der Abräumer in seinem Kurzvideo: Der Typ in Jeans und Kappe, der beim Umzug zu helfen scheint - oder in einem verarmten Haushalt ungerührt noch den letzten Besenstiel pfändet?Dabei handelt das Video, das im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden läuft, bloß vordergründig von der Auflösung eines Interieurs. Es geht um Wahrnehmung, Projektion, Raumillusion. "Perfect Move" nennt
Schmelz seine Schau, mit der er Zeichen für sein persönliches Fortkommen setzt. Es ist die Abschlussausstellung des Künstlers, der in Mainz studierte und nun einem größeren Publikum zu zeigen sucht, was er kann.
Das ist Einiges. Sensibel hat er die Räume bespielt. Seine Arbeiten kennzeichnen Humor, Ironie, die Lust am Skurrilen. "Schön, warm, Gewitter" nennt sich ein Videoloop auf der Suche nach angenehm temperierten Weltgegenden. Allerdings hält sich Schmelz, erneut selbst im Bild, mit einer Hand die Augen zu und lässt den Zeigefinger der anderen - ohne jenen zu berühren - über einen Tischglobus kreisen, auf dem gar nichts zu sehen ist: Die Welt als Wille und Klimagipfel. Dazu gruppiert der Mainzer, sich in verschiedenen Medien zuhause fühlend, allerlei Werke, die einzelne Motive des von ihm vorgestellten Kosmos aufgreifen und variieren. "Fragile" heißt eine Umzugskiste, aus der eine Art Tannenbaum herausgeschnitten wurde, welcher auf dem Kopf steht. Bei "Salto" handelt es sich um eine Choreografie mit tanzender Stehlampe, festgehalten in einem friesartig präsentierten Foto. "You are here" ist auch gut: Ein Lageplan mit jenem typischen roten Orientierungspunkt, der dem Wanderer oder Städtetouristen seinen Standort signalisiert. Dumm bloß, wenn sich der Punkt dann auf dem fremden Terrain gleich zweimal wiederfindet. Damit muss man bei Schmelz leben: Ein Mann eindeutiger Zweideutigkeiten."

 

Lost in Space
2008, Dr. Antje Krause-Wahl

Ein Mahjongspiel besteht aus 144 Ziegeln, Zählstäbchen und vier Würfeln. Jeder der vier Spieler versucht durch Ziehen und Abwerfen von Steinen ein wertvolles Spielbild in seiner Hand zu formen. Wer als erster alle seine Ziegel zu fünf einzelnen Figuren gruppiert hat, kann „Mahjong“ rufen und gewinnt die Spielrunde.
„Mahjong“ lautet auch der Titel einer Videoarbeit von Erik Schmelz, in der die Zielgerichtetheit, die für das Spiel cha rakteristisch ist, keine Rolle spielt. Wir sehen Hände, die leer bleibende Diarahmen auf einem Leuchttisch immer wieder neu ordnen. Zwar scheint auch dieser Ordnung ein System zu unterliegen, dieses kann allerdings nicht visuell entschlüsselt werden. Bilden Dias etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort gesehenes ab, so konzentriert sich Schmelz’ Video in seiner Reduktion auf das Ordnen an sich. Gegenstand ist eine Handlung, die unserer Weltkonstruktion zugrunde liegt: Indem man ordnet, versucht man die Welt zu begreifen. Die Tätigkeit des Ordnens ist dabei ebenso wich tig, wie das Bildermachen selbst, denn hier wird Gesehenes (aus)sortiert und umsortiert. Jahre später wird eine Reise oder ein Familienfest anhand der Abfolge der Dias erinnert. Welche Bilder und Geschichten bleiben, entscheidet sich auf dem Leuchttisch.
Auch die Dinge mit denen wir uns in unserem alltäglichen Wohnraum umgeben unterliegen einer Ordnung. Sich einrichten meint eine Ordnung zu erstellen, die ebenso wie die Dinge an sich, Rückschlüsse auf ihre Bewohner zulässt. Das Sprichwort „My home is my castle“ beschreibt nicht nur den uneinnehmbaren Rückzugsort einer privaten Wohnung, sondern impliziert auch eine unveränderliche Ordnung in ihren Zimmern: denn in einer Burg werden Räumen feste Funktionen zugewiesen, für die bestimmte Einrichtungsgegenstände vorgesehen sind. Wenn alles an seinem Platz steht, vermittelt das Sicherheit gegenüber der sich permanent verändernden äußeren Welt. In „Rochade“ befragt Erik Schmelz diese Ordnungen ebenso spielerisch wie in „Mahjong“: Auf gegenüberliegende Wände sind verschiedene Möbelkonstellationen projiziert, die un terschiedliche Wohnsituationen implizieren. Man kann den Künstler dabei beobachten, wie er eine Einrichtung von einem Raum in den nächsten räumt und wie sich der Raumeindruck verändert. Die Funktion des Raumes wird hier allein durch die Möbel bestimmt. Der schlichte Raum mit seiner weißen Wand und dem grauen Fußboden gibt keine Hinweise auf seine Bewohner. Die Möbel, denen Spuren des Gebrauchs anhaften, erscheinen deplaziert und auch der Künstler wirkt fremd. Dieser Eindruck wird gesteigert, wenn Schmelz seine Tätigkeit des Räumens in „Matrjoschka“ in den virtuellen Raum verlegt, der nicht durch Raumkanten, sondern durch Objekte, die als Haltepunkte dienen, definiert ist. Aus einer Umzugskiste wer den Gegenstände in den Raum geräumt, für den Betrachter sind diese in ihrer Materialität unsichtbar, da in der gleichen weißen Farbe wie der Hintergrund eingefärbt. Sie können bloß anhand der Handgriffe und ihrer Konturen imaginiert werden.
Eine Einrichtungerscheint in unserer Vorstellung, der Künstler aber scheint zu scheitern, gelingt es ihm doch nicht, sich sichtbar einzurichten. Aber Erik Schmelz besucht auch „reale“ Räume. Die Videoinstallation „Alibert“ beispielsweise gibt Einblicke in unterschiedliche Raum- und Lebenssituati onen. Auch „Space Kimmer“ zeigt Sequenzen, die in fremden Wohnräumen aufgenommen wurden. Die Betrachter sehen, wie der Künstler durch den Sucher blickt und den Selbstaus löser betätigt. Die Bewohner und diefotografiertenRäume allerdings sind nur zuhören beziehungsweise können durch die Dinge neben der Kamera, wie beispielsweise einem Hotel schlüssel oder Globus, vorgestellt werden. Immer ist es der Künstler, der mit seiner Tätigkeit den Blick des Betrachters lenkt. Erik Schmelz schaut in fremde Räume hinein oder fragt, wie (Wohn)Raum konstruiert werden kann.
Erik Schmelz versucht immer wieder zu begreifen, wie man in der Ordnung von Dingen im Raum eine Welt konstruiert. Sein zwiespältiges Verhältnis zum eingerichteten Raum findet ihren metaphorischen Ausdruck, wenn er auf einem ‚Screensaver’ friedlich mit seinem Rucksack auf einem Sofa schlafend im schwarzen Nichts treibt, fern von der Welt in einer Welt für sich.